DER GRIFF NACH DEM BILD

DER GRIFF NACH DEM BILD DES BILDES VOM BILDE

GJ LISCHKA

Sehen wir Bilder, bei denen es darum geht, dass wir auch erkennen, was wir da sehen, so haben wir immer einen Begriff davon und können auch sagen, was wir sehen. Jedes Bild findet seinen Ausdruck in seiner Legende, welche ein Kon-Text ist. Wir sehen demnach Be-Griffe: Dinge, die wir begriffen haben, die wir kennengelernt haben. Kein Bild ist frei von Bedeutung. Entweder erkennen wir diese, oder wenn wir uns keinen Reim darauf  machen können, keinen Sinn sehen, eben keine Einsicht, keinen Einblick in seine Erscheinung erhalten. Dann sehen wir zwar etwas, haben aber nichts gesehen.

Selbstverständlich gibt es Bilder, die uns nichts sagen. Vielleicht sind es sogar die meisten Bilder, die auf uns einstürmen. Es sind Klischees, die uns verfolgen, irgendwo auftauchen und von impertinenter Präsenz sind. Oft sind sie zunächst sogar überraschend. Bis man merkt, dass sie keinen Deut besser sind als diejenigen Bilder, die man schon gar nicht mehr wahrgenommen haben wollte. Es sind Bilder, die in unglaublicher Masse produziert nur dafür da sind, durch ihre ständige Wiederholung zu beweisen, dass sie die Realität repräsentieren. Eine Realität, die durch die Kristallisation von klischierten Ideen und ihrem Wiedererkennungseffekt  uns in den eigenen Bildvorstellungen bestätigen sollen.

Wie kann das passieren? Indem unsere Einbildungskraft, die uns die Bildgenerierung ermöglicht, immer wieder hinters Licht geführt wird. Und indem, dass wir im Unterschied zum Buchstaben Alphabet im riesigen Universum der Formen und Farben des Lebens, der Welt-Sicht, gar nicht die Möglichkeit hätten eine Art verbindlichen Code des Visuellen zu erstellen. In diesem prä-symbolischen Gebilde sind Täuschungen und Irreführungen, Verführungen und Ahnungen etc. aktuelle Gegebenheiten als Spielformen. Das ist auch der Grund für die Traumbilder, die mit uns machen, was sie wollen. Sie faszinieren uns, beängstigen uns und wie sie gekommen sind, verschwinden sie. Geisterhafte Schemen.

Diese Freiheit der Zuschreibung von Inhalten zum Reichtum der Formen, ist auch die Voraussetzung zur Vorstellung, Rhythmisierung und akrobatischen Beweglichkeit der Bilder. Nicht nur die fixierten Bilder sind durch neue auswechselbar und zerstörbar. Dem bewegten Bild ergeht es ebenso: denn haben wir die Bildfolge gesehen, haben wir auch schon genug davon. Der Eindruck der Bilder ist sowohl im Einzelbild wie in der Bilderreihung das Schweifen des Blicks über die Bildfläche oder durch den Bildraum, ein dem Zeitfluss abgerungener Moment der Aufmerksamkeit.

Es geht beim Bildersehen um die Troika des Erkennens – ähnlich anderen Bereichen des Wahrnehmens. Der Focus ist die Jetztzeit: Der Moment der Verschweissung der Gegensätze als Unifizierung. Eine Entscheidung wird getroffen. In wie weit diese selbst- oder fremdbestimmt ist, weiss man nur als selbst Betroffener in einer Lebenssituation. Die Welt stellt sich für jedes Ego anders dar. Jeder Blickwinkel ist ein anderer, auch wenn wir Dasselbe beobachten. Eine Komposition der Übereinkunft dessen, was ist und sein soll, ist die Interaktion jeglicher Kommunikation. Jede/r bringt ihre/seine eigene Biographie auf den Punkt, um ihn sogleich wiederum zu verschieben. Und momentan in einer sich anschliessenden Situation zu befinden.

Die Bewegtheit und Bewegung ist der Zug und Druck der Fortsetzung der Lebensenergie, sie herrscht mehr oder weniger unbewusst. Sie ist das Performativ, dem wir uns alle zu fügen haben. Das Verstreichen der Lebenszeit, in der wir uns den Gegebenheiten entsprechend verhalten. Was wir dabei bestimmen, wird in einem gewissen Masse von uns selbst abhängig sein, unter einer anderen Sicht der Dinge oder in anderen Situationen, wird uns gesagt, was wir zu tun haben. Zu einem hohen Grad werden wir aber die von der Zeitgeschichte Getriebenen sein, die unsere eigene Geschichte mit verantwortet. Es ist das Performativ, das uns perforiert.

Bei vollem Bewusstsein um die Gegebenheiten und die Wechselhaftigkeit des Lebens erkennen wir durch Diskursivität und Argumentation, dass wir nicht so verschieden voneinander sind, um uns nicht irgendwie einigen zu können. Das Objektiv gibt uns den nötigen Halt in der Kontingenz einer nicht übersehbaren Vielfältigkeit globaler Komplexität. Die Medienapparatur hilft uns im Austausch von Einsichten in Real Time als Sender und Empfänger. Auch in der Aufbereitung von Geschichte und der Erkenntnis, was das Bessere ist. Auch was das bessere oder uns mehr begeisternde Bild vom Leben ist, als die seichte Füllung des Bilderrahmens mit Klischees, mit aufgemotzten Politparolen und der Pornographisierung des Körpers.

Sind auch die objektiv vorhandenen und interpretierten Bilder eine Art Fixpunkt im Versuch der Bilder in ihrem interpretatorischen Reichtum und ihrer Rätselhaftigkeit handhaft zu werden: Die Idee des Bildes ist dennoch ungreifbar. Allein schon deshalb, weil das Performativ nicht arretierbar ist, was doch das Begehren der Objektive ist. Schliesslich ist das Objektiv das Medium, in welchem die Performance eine Form im Rahmen des Bildhaften erhält. Die Form wiederum teilt uns den Inhalt der jeweiligen Bildfindung mit. Entweder indem sie eine mehr oder weniger interessante Information ist oder indem sie zum Anreiz der Auseinandersetzung mit den Inhalten des Bildes wird.

Bildgenerierung und Bildzerstörung gehen immer Hand in Hand, wenn auch Images vieles überstrahlen. Sie werden ihren Glanz verlieren, von anderen Images abgelöst werden. Die Bilder der Offenheit und Verspieltheit, der ihnen innewohnenden Interaktivität werden die Konstanz des Bilderschatzes sein, der die Substanz der Idee des Bildes ist. Der Griff nach dem Bild, das Faszinosum Bild, ist das entschwindende und erscheinende, durch den Geist erfasste und ersehnte Bild, das wir vom Bild als Weltbild- Erschaffung haben. Dieses Bild ist quasi das Protobild als Variable mit einer Art Grundstruktur des Bildhaften, die uns hilft die Qualitäten unserer eigenen Bildvorstellungen zu erfahren – sowie Zugang zu neuen Bildern zu bekommen.

Die Idee des Bildes oszilliert zwischen dem momentan erkannten Bild, dem Innehalten, dem Auslöschen und der „Dunkelheit“ aus der wiederum die Bilder im „Licht“ erscheinen. Dies sowohl im Kopf als auch live, im Selbst, dem Beobachter. Der Widerstreit heisst Bild und Antibild. Wie Materie und Antimaterie, Konkretisierung und weisses Rauschen. Ähnlich den Phasen des Mondes als Zunahme und Abnahme, Voll- und Neumond; das ganze aber in hundertstel Sekunden. Wie beim Verstehen der Sprache als Folge von Syntax, richtig/falsch und verstanden/begriffen haben. Man kann auch die Idee des Bildes mit dem Werden der Kunst vergleichen. Zuerst kommen Bilder und Zeichen, dann die Schrift und Bedeutungen, die wir verstehen können. Dennoch, Bilder bleiben immer flüchtig und erklärungsbedürftig. Die Idee des Bildes.