WIE SIEHT VIDEO

WIE SIEHT VIDEO?

 

Bilder erscheinen nicht nur in unserem Blick auf die Umwelt, unsere Umgebung, sondern sie kommen auch durch diverse Bildmedien von überall auf uns zu. Kein Haltezeichen gibt es mehr zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen in dem immer „Mehr“ an Bildern. Zudem versenden auch wir selber Bilder (Texte und Töne), die wiederum Aufmerksamkeit erregen sollen. In dieser Bilderwelt sehen wir, wie andere sehen oder zeigen wir, wie wir was sehen wollen oder sollten. „Wie sieht Video?“ heisst demnach: Ich sehe, wie du siehst, dadurch dass du mir zeigst, was auch für mich interessant ist oder mich neugierig machen sollte. Rund um die Uhr sind wir auf Dreh, auf Aufnahme und Wiedergabe, selbst wenn wir es gar nicht sein wollten. Wir sind „always on“.

Es sind aber nicht nur die Bilder, die auf uns eindrängen. Gleichfalls, ja fast impertinenter, durchdringt uns die Welt der Geräusche, der Töne und das mittlerweile überall herrschende Geschwätz ins Handy, das zu hören wir gezwungen sind. Und sollten wir vor unangenehmem Lärm bewahrt werden, übertönt diesen noch ein Soundteppich. Bis zu einem gewissen Grad können wir vor den Bildern immerhin noch die Augen schliessen. Beim Hören wird es schon schwieriger, denn die Schallwellen sind kaum zu stoppen. Unsere beiden Fernsinne werden im Zeitalter der Verschlingung der Distanzen durch die Geschwindigkeit in dem Masse mitgenommen, in dem sich unsere Vorstellung vom Zeitgewinn den Apparaten der Beschleunigung anpasst.

Audiovision ist das Produkt von Anwesenheit des Abwesenden, durch Technik und Elektronik modulierte direkte Information und Kommunikation. Können wir Bild und Ton auch getrennt wahrnehmen, die Tendenz respektive die Möglichkeit, sie zu verbinden, ist seit dem Tonfilm, später der Verbindung von Bild, Text und Ton via TV und im Computer mit seiner digitalen Technik zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Energie als durch 0 und 1 definierter Energiefluss wird optisch und akustisch wahrnehmbar und gestaltbar.

Durch diese scheinbar glückliche Verbindung von Bild, Text und Ton fühlen wir uns in einer vermeintlichen Ganzheit, einer Realität, die trotz Reduktion auf zwei Sinne zum Ersatz der Realität als Reality werden kann. Dies in der virtuellen Welt der Medien, die sich als Zwischenwelt, als produziertes Dazwischen, in unseren Köpfen festsetzt.

War im Spiegel unsere Präsenz zur Widerspiegelung notwendig, um Gegenwärtigkeit darzustellen, sind es in der Reality die verführerischen, quasi naturalistischen Elaborate, die uns was auch immer vorführen, auch uns selbst. Das Ersetzen der Realität durch die täuschend ähnliche Reality ist in vollem Gange. Bereits wird von unseren Körpern Artifizielles als willkommener Ersatz des Natürlichen aufgenommen, die Abstossung von Fremdkörpern überwunden. So verfilzt sich die Demarkationslinie von Körper zu Körper zum Geist. Ein cross over als Zwischenwelt ist überall zu beobachten.

Diese Zwischenwelt spielt sich vor und zwischen uns als Inter- und Transformation ab. Sichtbar und unsichtbar (als unsere Projektion) ist sie Projekt, Produkt und Medium, das Dazwischensein. Als materielle, mentale, psychische und emotionale Form, die, energetisch getragen, unser Dasein zum Ausdruck bringt. Wir sind unser inter-esse, das im inter-course gezeugt wurde und inter-subjektiv abläuft, das sich inter-aktiv im inter-net inter-national definiert und multi-medial zustande kommt. Dabei tauchen nur selten inter-mediale Kompositionen und Konstrukte auf, die wir als Kunst bezeichnen. Das Dazwischen ist vor und hinter uns, über und unter uns, es ist eine Stimmung, die in verschiedensten Atmosphären des Gesellschaftlichen vorherrscht. Es kann ein inter-face sein, auf das wir unsere Aufmerksamkeit richten, ein Display oder eine Installation, ein Monitor oder schlicht ein Buch, eine Berührung oder ein Duft. Immer vermengt sich im cross over die Realität mit der Virtualität der Reality.

 

Und denken wir an unsere wirtschaftliche Situation, die ein wichtiger Teil der Realität ist, erkennen wir, dass ein grosser Teil ihrer Funktionen genauso uneinsehbar und schwer nachvollziehbar ist, wie wir bei/in den Massenmedien und der Werbung vergeblich nach einer Logik suchen. Die fuzzy logic der Reality hat sich wie eine Tarnkappe über uns gestülpt. Bei der Ökonomie geht es auch um den zentralen Punkt des Lebens in der Vermittlung, denjenigen des Teilens, von Angebot und Nachfrage, des Wertes. Und fast kein Gedanke, der in uns auftaucht, ist nicht auch eine Bewertung von diesem und jenem, der Gefühle, wie es uns gerade geht, was wir eigentlich möchten. Wir wägen ab, wie es um unseren Besitz steht – sei er materieller oder immaterieller Art.

Video: Ich sehe und ich werde gesehen, das ist der wichtigste Angelpunkt im globalen audiovisuellen Fluss. Video ist die aktuelle Form des Sehenden und des Gesehenen, mit welchen Apparaten das auch wie immer geschieht. Es geht zwar in erster Linie um das  bewegte Bild, das aber nicht nur Film bedeutet, sondern gleichfalls Aufnahme und Wiedergabe mit der Film-, Video- und digitalen Fotokamera, Bildsequenzen, Installationen, closed-circuit-Überwachung etc. Es handelt sich um den „Dreh“, Produktion und Rezeption der technischen, elektronischen, analogen und digitalen Bilder/Töne und deren Aufzeichnung beziehungsweise Speicherung. Dieser Vielzahl von Gerätschaften entspricht die Fülle von Produkten von Video. Dazu kommt, dass sowohl das Format wie die Qualität und die Auflösung der Bilder changieren.

Im Multimedien-Angebot sind wir irgendwie Produzenten und Rezipienten, gerade weil der „Dreh“ herrscht: Wir beteiligen uns (klicken und tippen) in direkter Kommunikation (lean forward) via der Vernetzungsmöglichkeiten des Computers. Wir entspannen uns als Konsumenten (lean back) und zappen uns durch die Programme. Dabei stehen uns Tastaturen zur Verfügung, touch screens, remote control, wir arretieren, beschleunigen, kopieren und fügen Bilder, Texte und Töne zusammen, lassen sie vor- und rückwärts laufen. Und programmiert stellen wir den zeitlichen Rahmen so zusammen, dass er unseren Gewohnheiten und Wünschen entspricht. Eine allem Anschein nach totale Verfügbarkeit und Gestaltbarkeit des medialen Angebots, der Kommunikation mit und durch virtuelle Realitäten.

War früher eine „Bühne“ der Ort der darstellenden Künste, ob durch Schauspieler oder Puppen, die in Hell und Dunkel erschienen, ist der dreidimensionale Raum zum zweidimensionalen der Medienprojektion geschrumpft. Orte sind zu Flächen geglättet, die zudem noch meistens klein bemessen sind, in oft mikroskopische Dimension reduziert. Der Handlungsraum im menschlichen Massstab verändert sich in die vieldimensionale Vorstellungswelt der Gedanken und Träume und der medialen Bilder mit ihren x Formaten. Bleibt auch ein gewisser Rahmen der Grössenverhältnisse erhalten, die Erweiterung in die Mikro- und Makrowelten ist gewaltig und faszinierend zugleich.

Vieles hat sich im Rahmen üblicher Bildpräsentationen von Foto, Film, Video und Computer zugetragen. Vom auf dem Kopf stehenden Lichtbild durch ein (Objektiv) Loch in eine dunkle Kammer geschlüpft, das kopiert oder fixiert wurde. Über normierte Filmstreifen als Negativ bis zur auf Chips gespeicherten Information, die an einem Interface in verschiedensten Formen abgerufen und präsentiert werden kann – je nach Speicherung als Bild, Text und/oder Ton. Wobei wiederum die Bilder in den Raum projiziert oder auf Displays erscheinen. Im Laufe der Entwicklung der Speichertechnik wird dabei eine immer grössere Dichte der Pixels und Bits angestrebt (HD, Full HD), der Bildrahmen in die Breite gezogen (4:3, 16:9, 21:9) und das Bild kommt in 3D über uns oder stösst an uns. Diese Formatierungen sind dazu da, dass wir den Bildern tatsächlich nirgends mehr entkommen. Sie passen sich unseren Körpern und Räumen an, sind fix oder flexibel, bewegt oder statisch. Ihre Metamorphose wird zu unserem Wechselbad der Gefühle und unserer Technik der Selbstdarstellung. Nicht nur der Schatten begleitet unseren Lauf, wir sind auch (irgendwo) durch unsere Bilder präsent und Bilder kommen von irgendwo zu uns.

 

Die Bilder, Texte und Töne sind gespeichert: auf CD, DVD, Blue Ray und Festplatten von immer gigantischerem Speicherplatz, wenn viele Computer verbunden weltumspannend zusammengeschlossen sind. Wo dann die Daten überhaupt noch sind, drückt cloud computing überzeugend aus. Man kann es sich gar nicht mehr vorstellen, die Daten erscheinen und verschwinden, sind da und dort, wolkige Gebilde. Und wenn wir nicht mehr wissen, wo wir welches Foto geknipst haben, helfen uns wenigstens die durch GPS ermittelten Koordinaten. Alles zerstäubt im Wirbel der uns vorgeführten opto-akustischen Reize, so dass wir nur noch zu momentanen Arretierungen und Festlegungen Zeit finden. Von Dauer ist das unstabile Gleichgewicht, in dem wir gezwungen sind, mit unerwarteten Überraschungen fertig zu werden. Und da sich die Ereignisse überschlagen, die Eindrücke, so dass ihre Reihenfolge durcheinander gerät, sprechen wir von Echtzeit, derjenigen Zeit, die tatsächlich herrscht, so wie sie festgelegt ist.

Das Gefühl für Zeit ist sehr relativ und persönlich different. Schwierig ist es dennoch von Eigenzeit zu sprechen, wo wir uns doch in einer uns positiv charakterisierenden Betriebsamkeit von Termin zu Termin hangeln, einen vollen Terminkalender haben sollten. Wer kann da sein Timing bestimmen, beschleunigen und verlangsamen, wann er/sie will? Wer schneidet sein eigenes Video so, dass es seinen Vorstellungen entspricht? An diesem Schnittpunkt zwischen Rezipient und Produzent können wir die Schwierigkeiten und die Banalität von Video erkennen; wenn wir als Beobachter und Beobachtete fungieren, da wir ja beides sein können. Trotzdem werden wir immer mehr zum Beobachteten, ohne uns dessen bewusst zu sein. Die Überwachungskamera verfolgt uns aus Sicherheitsgründen an unzähligen Orten. Ahnen wir überhaupt noch die Präsenz von Kameras, die uns im Blickfeld haben? Wie lange bleiben wir wo aufgezeichnet? Rund um die Uhr wird gespeichert, was geschieht. Es gibt (in den Städten) praktisch kein Geschehen mehr, das als solches nicht auch später noch abrufbar wäre. Unser medialer Schatten ist zeitbegrenzt fixiert ein Video.

Sitzen wir vor den Bildschirmen (LCD, Plasma, Kathodenstrahlröhren) ist der Grossteil der an den Medien ersichtlichen Formen etwas, das wir ansehen, das uns sieht, vorher aber auch gesehen wurde und entsprechend arrangiert ist. Worauf wir wiederum reagieren, dran bleiben, weiter zappen oder abschalten. Ein ständiges Stop and Go, ein Performativ als dynamische Einheit unserer Zivilisation. Hier entscheidet sich, wie wir uns in der Betriebsamkeit der Bilder verhalten, was wir von ihnen wollen und sie uns geben sollen: die Handhabung der Bilder. Die Videos als Geistes-Produkt sind die Generierung der Reality, die zum mentalen Konstrukt, unserer Basis des Weltverständnisses, der Vermengung von Aktualität und Virtualität werden. Video ist als Sehen und Gesehenwerden Beobachter und Beobachtetes, Medium und Form, bewegter Stillstand, Hardware und Software. Als mobile und Handy etc. das Zuhandensein im Wechselspiel von begreifen und begriffen haben.

Was jahrtausendelang der Spiegel war, ist seit TV, Video und später PC und Internet das neben und mit uns – nun nicht mehr seitenverkehrt – audiovisuelle analog-digitale Video als interaktives Medium der Selbst- und Fremdbestimmung. War das Bildnis eines der Herrscher/in, der exzeptionellen Persönlichkeiten unterschiedlichster Provenienz, wurde es durch die Fotografie Allgemeingut, durch Video zur Selbstbestätigung und Kontrolle der Performativität des zeitgenössischen, westlich orientierten Globalbürgers. Video und Performance stellen die zwei Seiten der Medaille des heutigen Lebens dar. Also Geld (Wert) als Medium, das sich in alles verwandeln kann und in das sich alles verwandelt, was wir zum Leben brauchen; wenn es die Natur durch die Stadt und die Techniken der Zivilisation abgelöst/erweitert hat. Video ist das Geld des Image, in dem der Live-Auftritt vollzogen und dokumentiert wird. Wer sich dessen nicht bedient, wird eben damit bedient, wenn es auch nur mentale Nahrung ist. Video ist das Übergangsobjekt zwischen dem Leben und dem Tod, in dem „Gestorbene“ opto-akustisch wieder auferstehen.

 

In der Kindheit sind Übergangsobjekte dazu da, uns von der Mutterbrust zu lösen und an die Gesellschaft zu gewöhnen, um entwöhnt auf der Welt zu sein. Seit dem globalen Siegeszug der digitalen Mediatisierung sind die entsprechenden – immer wieder neu veränderten auf den Markt geworfenen – Apparate, die nun nicht mehr primär körper- sondern geistbezogenen Übergangsobjekte, die wir uns aneignen müssen, um kommunikationsfähig zu sein/bleiben. Eine klare Direktive zur eigenen Manipulationsmöglichkeit der Medien. So können wir uns auch die Wirkung von (Super) Stars erklären und den Anschluss von Alltäglichem (Big Brother), Talkshows, Info- und Entertainment an die Massenkommunikation. Und denjenigen Hype, das eigene Privatleben ins Netz zu stellen, dort Lebenspartner zu finden, einzukaufen, Tagebuch zu führen. Wir müssen demnach medienkonform werden, Casting Shows als Bewertungsmassstab durchexerzieren, Politiker müssen den Eindruck erwecken, grossartige Redner zu sein, obwohl sie tatsächlich vom Teleprompter ablesen.

Mit diesen neuen Übergangsobjekten müssen wir uns die Formen der Massenkommunikation angewöhnen. Je nach Bedarf wird dieser Gewöhnungsprozess intensiv verlaufen und je nach Kultur mehr oder weniger gepflegt. Selbst die Apparate und das Prinzip ihrer Verwendung können dabei kritisch überprüft werden und in ihrer Bedeutung relativiert und/oder beglaubigt erscheinen. Auf jeden Fall hat Video in der Kunst einen Partner gefunden, der im Rahmen der Medienkunst einen anderen Umgang mit der Apparatewelt pflegt. Indem der direkte Nutzen hinterfragt wird, aber auch andere Dimensionen der Verwendung erprobt und etabliert werden. Entsprechende Videokunst konnte sich in den 60er Jahren in Form von Videoskulpturen und Videotapes durchsetzen. Zusammen mit der Performancekunst in den 70er Jahren wurden sie zur Basis der Selbstreflexion und Dokumentation. Es folgten die Musikclips, Computeranimationen, interaktive Videoinstallationen, bis wir in weltumspannenden Internetgefässen in der Masse von Videos ins Trudeln geraten.

Durch das Ausufern der Grenzen, der Demarkationslinien der Kunst im totalen cross over wird es immer schwieriger zu bestimmen, was Kunst ist oder sein soll respektive sein könnte. Das ist auch gut so, denn die Fantasie ist grenzenlos, unbestimmt, stochastisch die lebendige Einbildungskraft. Zudem mischen sich die Disziplinen und ziehen auch ihren Gewinn aus der Reibung aneinander. Das zeigt sich ebenfalls am Video, dessen Autor/in jeder/e sein kann. Doch nur im Rahmen des Kunstdiskurses wird sich Video als Kunst bewähren: im Vergleich mit der bestätigten Videokunst und durch überzeugende und überraschende Formen, die unsere Zeit aufscheinen lassen, in welchem Thema das auch sei. Videokunst ist exzeptioneller Ideentransfer. Im Unterschied dazu sind die Unzahl Clips als Werbung, Reports und Gags vielleicht interessante Dokumente, politische Aufklärung und Engagement, aber dennoch formal gelungenes oder missratenes Design, Gebrauchsgut besserer oder schlechterer Provenienz. Aus zigtausenden Stunden Videoprogramm im Netz wird uns nur selten Kunst begegnen, hätten wir denn die Zeit, es gesehen zu haben. Dasselbe kann für das Fernsehen gelten, wo Kunst neben dem politökonomisch eingespielten Programm fast nicht auftaucht.

Es ist ein typischer Widerspruch unserer Zeit, dass Video überall installiert, gesehen und verwendet wird, aber nur äusserst selten Videokunst zu sehen ist. Video ist mit dem Üblichen, Pragmatischen audiovisueller Technik verbunden, wie es eben die meisten Neuen Medien sind. Deshalb regredieren viele Kritiker auf die Alten Medien als die Repräsentanten der Kunst, was zu einfach ist. Sehen wir aber Video als die magische Mitte der Kunst der Neuen Medien, eröffnet sich uns ein riesiges Blickfeld opto-akustischer Ereignisse, welches das erste optische Massenmedium, das Panorama, als Videorama etabliert. Hier wird das Bild von der Vorstellung des Bildes, das als Vorbild für ein Nachbild erscheint, zum Kaleidoskop von Weltbildern, die im Gesamt der Bilderwelten changieren und uns Sehen als Erkenntnis und Genuss des Sehens anbieten.